Adrian Gerber
Das Kino, der Krieg und die Schweiz: Öffentliche Debatten im und über Film zur Zeit des Ersten Weltkriegs
Abstract
Die 1910er Jahre waren eine Formierungsphase unterschiedlicher auf das Kino bezogener Praktiken und Diskurse: Nach der Etablierung ortsfester Kinos prägte der Kinobesuch das Freizeitverhalten breiter Bevölkerungsschichten; mit der «Narrativierung» (Tom Gunning) des Films kamen langlebige filmästhetische Konzepte und Konventionen auf; während bildungsbürgerliche Kinoreformer das populäre Unterhaltungskino bekämpften und die gesetzliche Regulierung des Kinowesens voranschritt (u.a. Filmzensur), organisierte sich das Kinogewerbe in Verbänden; unter dem Eindruck des Kriegs entdeckte man die bewegten Bilder aber auch als nationales Propagandamittel und verschiedene Kreise erträumten sich den eigenen «Schweizer Film». Ziel des Dissertationsprojekts ist es, solche praktischen und diskursiven Konfigurationen aus der Perspektive der «Kinoöffentlichkeit» (ausgehend von Corinna Müller / Harro Segeberg) zu analysieren, um die bisher nur in ihren groben Umrissen erkennbare früheste schweizerische Kino- und Rezeptionsgeschichte in ihrem kulturellen, sozialen und politischen Umfeld auszuleuchten. Im Fokus stehen hierbei (1) Debatten über das Kino als Institution und über einzelne Filme (in dieser reflexiven Begleitöffentlichkeit sollen auch die vom spezifischen Rezeptionskontext abhängigen Bedeutungszuschreibungen zu Filmen sichtbar werden), (2) die ästhetischen Formen und die narrative Bauweise ausgewählter, öffentlich debattierter Filme, (3) kulturelle Praktiken im Zusammenhang mit dem Kinobesuch sowie (4) die kinematografischen Präsentations- oder Darbietungsformen. Die Produktions- und Distributionsbedingungen sowie weitere lokale Rahmenbedingungen der Filmpräsentation (wie zensorische und andere rechtliche Beschränkungen des Kinowesens) werden hierbei lediglich als Elemente des Hintergrunds verstanden, vor dem Kinoöffentlichkeit entsteht.
Curriculum Vitae
Geboren 1977. Berufslehre als Landschaftsbauzeichner. Zweitweg-Matura. 2002–2008 Studium der Geschichte, Filmwissenschaft und des Völkerrechts an der Universität Zürich; Lizenziatsarbeit zur historischen katholischen Filmarbeit in der Schweiz. 2009–2010 Assistenz am Seminar für Filmwissenschaft der Universität Zürich. Seit 2010 Teilnahme am Doktoratsprogramm «Kino und audiovisuelle Dispositive – Diskurse und Praktiken» dreier universitärer Partner des Netzwerk Cinema CH (Universität Zürich, Université de Lausanne, Università della Svizzera italiana; finanziert durch den Schweizerischen Nationalfonds). Forschungsschwerpunkte: Film- und Kinogeschichte Schweiz, historische Filmrezeption, Kinowerbung, Propaganda, Kinoreform, kirchliche Filmarbeit.
Projekt betreut von
Prof. Dr. Margrit Tröhler und Prof. Dr. Jörg Schweinitz, Universität Zürich
Promotion HS 2015
Publikation 2017